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"meine Schwester" von Antje (Deutschland, geb. 1959)
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Das was mich besonders berührt hat, war der Tod meiner Schwester – vor einigen Jahren. Sie hatte ein Aneurysma und lange in der USA gelebt. Sie ist dann zurück nach Deutschland gekommen und hat bei mir eine Weile im Haus gelebt.

Eines Tages – kurz vor Weihnachten – ist sie dann auf der Straße zusammen gebrochen und ins Krankenhaus gekommen. Die Ärzte haben sehr um ihr Leben gekämpft. Ich habe jeden Tag an ihrem Bett gesessen – sie war im Koma und ich habe mit ihr auf Englisch geredet, weil sie mir mal gesagt hatte, sie träumt in Englisch, wegen der USA. Ich habe gehofft, dass ich sie dadurch besser erreichen könnte. Sie hat oft geweint. Wenn die Kassetten mit den Stimmen ihrer Kinder abgespielt wurden, hat sie Tränen in den Augen gehabt und die sind richtig runter geflossen. Ja und dann haben die Ärzte nach einer Woche Kampf um ihr Leben beschlossen, das Beatmungsgerät abzustellen – weil wohl keine Hoffnung mehr bestand. Das Beatmungsgerät wurde immer weiter runter gestellt – sie rang immer mehr nach Luft und ich hatte das Gefühl sie kämpft um ihr Leben. Sie will gar nicht gehen. Das hat mich lange, lange beschäftigt. Irgendwann ist dann alles im Körper kollabiert und sie ist trotzdem gegangen. Das war der Moment da, an dem ich ziemlich erschüttert aus dem Raum ging. Die Ärztin hat die ganzen Schläuche aus dem Körper meiner Schwester genommen und hat gefragt, ob ich sie noch mal sehen möchte. Ich hab ja gesagt, weil ich dachte, vielleicht noch so ohne die ganzen Schläuche etwas von dem Menschen zu erhaschen, den ich verloren hatte. Ich bin hingegangen und sah sie so, wie sie da lag. Was mich in dem Moment so seltsam berührt hat war–vorher, trotz der Schläuche, trotz des Komas,  war sie immer noch meine Schwester gewesen, aber als sie dann ohne die Schläuche da lag, scheinbar unversehrt, da hatte ich das Gefühl – sie ist zwar meine Schwester – sieht aus wie meine Schwester - es war richtig ein ES – der Körper - alles passte – die Haare - die Augen, alles war dran an ihr nur es war sie irgendwie nicht mehr. Ich hab mich gefragt - wo ist sie hin? Was ist mit ihr passiert? Und wo ist das, was sie eigentlich gewesen ist?

Ja, von dem Moment fing meine Frage an: Was passiert mit uns nach dem Tod? Und ich gewann die Erkenntnis, dass irgendwas noch sein muss – danach – weil ich ganz deutlich gespürt hab, das es ist, wie wenn eine Raupe ihren Kokon verlässt. Es war einfach. Es war wie, als wenn die Person, die ich kannte und die ich geliebt habe und die ich noch immer liebe - das verlassen hat, wo sie drin gewohnt hat – also ihr zu Hause verlassen hat. Dadurch hat sie auch die Möglichkeit überall zu sein -  denk ich mal – auch bei mir. 
 

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Elke Werneburg - email: art-herstory@web.de