Frauengeschichte(n)
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"die Frage" von Karin   (Deutschland, geb. 1964)
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Hier ist eine Geschichte aus ganz aktueller Zeit. Ich bin vor ca. zwei Wochen auf einem Seminar in New Jersey gewesen, das hieß The Secrets of a Millionairs Mind. Und innerhalb dieses Seminars hat der Seminarleiter eine Geschichte erzählt. Es ging darum – er hätte gerne seinem Vater eine ganz wichtige Frage gestellt. Dieser Vater wohnte ein bisschen außerhalb und kam zu Besuch. Er hat dann immer für sich überlegt – so, an diesem Wochenende stelle ich meinem Vater diese Frage. Das Wochenende ging vorbei, der Vater flog ab und er hatte die Frage nicht stellen können. Der Vater kam wieder zu Besuch und er nahm sich vor, diesmal dem Vater die Frage wirklich zu stellen. Man muss dazu wissen, der Vater war wohl ein recht gestrenger Herr und hat seine Kinder sehr autoritär erzogen. Dieses Bild des autoritären Vaters war immer in ihm präsent – und er fragte sich, kann ich ihm überhaupt diese Frage stellen? Zögern und Zweifel gingen durch seinen Kopf und er kriegte diese Frage wieder nicht über die Lippen. 
Das Ganze zog sich über zwei Jahre hin, mit unglaublicher Quälerei und vor allen Dingen immer im Hinterkopf – verdammt, ich bin Trainer und Coach, so viele Menschen bringe ich dazu, sich mit Sachen auseinander zu setzen, Fragen, die unangenehm sind, an wen auch immer zu stellen und ich selber krieg es nicht fertig, meinem Vater, diese für mich sehr wichtig Frage zu stellen. Das darf doch nicht wahr sein! Wenn mein Vater das nächste Mal kommt, dann werde ich ihm die Frage auf jeden Fall stellen.
Der Vater kommt. Er hat die Frage auf den Lippen - aber immer noch nicht ausgesprochen - so lange nicht, bis der Vater wieder abfahren will. Die beiden sitzen im Auto zum Flughafen von wo der Vater nach Hause fliegen soll. Der Trainer sitzt im Auto und will diese Frage gerade stellen und guckt dabei zur Seite und sieht den Vater ganz verkniffen hinter dem Steuer sitzen. 
Puh, da ist es ist wieder da – nein, ich kann das nicht!
Plötzlich läuft im Radio ein Lied, das den Trainer endlich den Mut aufbringen lässt, seinen Vater die wichtige Frage zu stellen: Warum hast du mir eigentlich nie gesagt, dass  du mich liebst?
In dem Augenblick fällt beim Vater alles – die Klappe, das ganze Gesicht – es fällt alles runter. 
Die Tränen schießen ihm in die Augen und er sagt: 
Das musst du doch wissen, dass ich dich liebe. Du bist doch das Wichtigste für mich in dieser Welt. Das kann doch nicht sein, dass du es nicht weißt – ich liebe dich doch über alles – du bist doch das Größte für mich im Leben.
Aber du hast mir das nie gesagt.
Doch, ich hab dir das gesagt, auch musst du das doch gemerkt haben.
Nein, du hast es mir nie gesagt!
Beide sind am Heulen und am Schluchzen und haben plötzlich eine ganz, ganz andere Nähe zueinander. Endlich ist es mal ausgesprochen. Sie kommen am Flughafen an und der Vater sitzt im Flieger und beide haben plötzlich ein anderes Verhältnis zueinander – und eine ganz tiefe innige Verbindung. 
So erzählt der Trainer die Geschichte und ich erinnere mich dabei an meinen Vater, der vor 14, oder vor 13 Jahren an Krebs gestorben ist und dass ich ihm exakt diese Frage stellen wollte – zwei Tage, bevor er gestorben ist. 
In Anbetracht dessen, dass mein Vater damals schon sehr, sehr schwer krank war
- und an dem Tag, an dem ich diese Frage stellen wollte, da war der Krebs grade in unglaublichem Ausmaß gewachsen, mein Vater hatte einen ganz dicken, aufgeblähten Bauch und ich dachte, das ist alles voll Krebs – da hab ich die Frage nicht mehr gestellt. 
Im Training hat der Trainer nach seiner Geschichte  gesagt: So, ich möchte jetzt, dass wir alle einen Kreis bilden und dann wurde Zettel verteilt, auf dem der Liedtext drauf war. Das Lied heißt “In The Living Years“ von Mike and the Mc Kennings und es geht um genau das Thema: dass wir doch bitte alle Sachen klären sollen, während die Menschen noch leben, 
mit denen wir etwas zu klären haben. 
Dann haben wir alle gemeinsam dieses Lied gesungen. Das war sehr bewegend.
Es war das erste Mal seit 13 Jahren, dass ich um meinen Vater trauern konnte. 

 
Bitte sende Deine Geschichte an: 
Elke Werneburg - email: art-herstory@web.de