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"Ein kostbares Geschenk" von  Marianne (Deutschland, geb. 1962)
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 Ich bin Anfang des Jahres erkrankt und habe während meiner Erkrankung feststellen dürfen, dass ich tatsächlich in den 20 Jahren, in denen ich hier in Bielefeld lebe, doch ein sehr tragendes soziales Netz um mich herum habe, Freunde die mich in dieser schweren Zeit wirklich gestützt und getragen haben, was zu einer ganz besonderen und wichtigen Erfahrung für mich wurde. 
Bevor ich ins Krankenhaus kam und operiert wurde, hatte ich ganz spezielle Voruntersuchungen, die in einem sehr großen Röntgeninstitut gemacht wurden. Abklärungsuntersuchungen, die notwendig waren, um sich ein aktuelles Bild der Krankheit zu verschaffen. Ich hatte diesen Termin irgendwie am Montag oder am Dienstag, um 10 Uhr. Ich weiß es nicht mehr so genau.
In diesem Moment war mir nicht so ganz klar, was das eigentlich für mich wirklich bedeutete. Ich dachte – da gehst du einfach hin und irgendwie wird alles einmal durchgecheckt -  und dann fährst du wieder nach Hause – ganz einfach. Das waren so meine Gedanken.
Natürlich war ich pünktlich da. Doch die ganze Atmosphäre, die mir in dieser Praxis entgegen kam hat mich schier erschlagen. Es war ein irre volles Wartezimmer – ich hatte das Gefühl, das hunderte von Menschen da auf verschiedenen Stühlen verteilt saßen und warteten. Gleich zu Beginn sagte man mir, dass es doch relativ lange dauern würde. Mit zwei bis vier Stunden müsste ich schon rechnen. 
Ich kann mich einfach sehr genau an diesen Moment erinnern. Ich saß da, ganz alleine, blätterte ein wenig in Zeitschriften herum und saß auf so einem kleinen Kinderstuhl an einem kleinen Kindertischchen – der einzige Platz, der noch frei war. Denn im ganzen Wartebereich gab es keine großen Stühle mehr. Es war wirklich wie in einem Bienenhaus. Ein einziges Kommen und Gehen - ein Aufrufen und Ansagen, Menschen, die rein und raus gehen, die sich wieder setzen, etwas abholen und wiederkommen. Ich saß da auf diesem kleinen Kinderstuhl und war wie in einer anderen Welt.
Dann hörte ich, wie mein Name aufgerufen wurde. Eine Sprechstundenhilfe holte mich ab und führte mich durch die Praxis. Zunächst einen langen Flur entlang – nach rechts, nach links, um viele Ecken herum, bis wir in einen anderen Wartebereich waren. Sie bat mich Platz zu nehmen und zu warten. Aus einem Ständer mit Zeitschriften fischte ich mir irgendein Heft, das ich mir anschaute. Ganz versunken ins Blättern habe ich gewartet. Wirklich gelesen habe ich nicht -  zu viele andere Gedanken beschäftigten mich. Ich war wohl sehr vertieft in die Bilder dieser Zeitschrift. Wie aus dem Nichts tippt mir plötzlich jemand auf die Schulter – im ersten Moment habe ich mich doch sehr erschrocken. Doch als ich das vertraute Gesicht meiner Freundin sah, kamen mir sofort die Tränen. Sie stand einfach vor mir und sagte: „Ich will einfach  ein bisschen mit dir hier warten.“
Das hat mich unglaublich berührt, dass da jemand war, der einfach gekommen ist – der so nah dran war. Ein Freund, der einfach da ist und sagt – ich warte hier mit dir. Ich warte mit dir die Ergebnisse ab – ich warte zusammen mit dir - vier Stunden lang.
Da fühlte ich mich sehr getragen und sehr aufgehoben. Auch noch danach als ich wieder zu Hause war. Ich habe Freunde, die das Menschliche in den Vordergrund stellen und die einfach machen und nicht immer nur davon reden. In meiner Freundin und ihrem Mann habe ich eben solche Menschen. Sie rufen nicht nur an und fragen ob ich etwas brauchen kann, sondern sie handeln einfach. Das nehme ich von den beiden ganz besonders mit, denn es ist ein sehr, sehr kostbares Geschenk, dieses Handeln. Und dies zu wissen, das ist ein gutes Gefühl.
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Elke Werneburg - email: art-herstory@web.de