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"Mittelpunkt des Universums" von Petra  (Deutschland, geb. 1946)
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Es war 2003 
Nach einem Zusammenbruch war ich eine zeitlang in einer psychosomatischen Klinik. Von meiner Tochter habe ich telefonisch die Nachricht bekommen, dass mein Enkel mir in den darauf folgenden Tagen abends ein Gedicht aufsagen wollte. 
Er war damals sechs Jahre alt. Ich werde später mal erzählen, wie dieses Gedicht lernen zustande gekommen ist – ich erzähle jetzt erstmal wie das so gewesen ist. 
Eines Abends kam also der Anruf. Mein Enkel hat mir mit dem Phagus der Stimme eines Sechsjährigen ein Rilke-Gedicht aufgesagt:
 
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott um den uralten Turm
und ich kreise Jahrtausende lang 
und ich weiß noch nicht, bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein uralter Gesang“.

So, das allein war schon sehr viel Rührung, sehr viel Berührung für mich.
Aber es hat sich noch gesteigert. 
Denn in dieser Klinik haben wir einmal in der Woche so eine Patientenversammlung gehabt. Die war so ein bisschen ritualisiert, und der Oberarzt – Oberpsychologe brachte zur Einstimmung immer verschiedene Texte oder Musik mit. Es war vielleicht ein, zwei Tage später – er kommt also in diesen Saal und sagt: 
„Ich habe Ihnen heute ein Rilke-Gedicht mitgebracht“

Er fing an: “Ich lebe mein Leben“ …

Und da war es eigentlich mit mir vorbei. Ich musste so dermaßen heulen vor lauter Berührung und Glück und gleichzeitig hatte ich ein wahnsinniges Gefühl von –
von zu einem Stern zu werden. 
In diesem Moment hältst du dich für den Mittelpunkt des Universums. Wenn solche Zufälle zusammen kommen und du so angerührt bist, dass du meinst du bist nur noch ein Stückchen lebendige strahlende Materie - vor lauter Rührung und - 
das ist etwas ganz besonderes. So ist das gewesen – ja.


 
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Elke Werneburg - email: art-herstory@web.de